Kennzeichen des Unterrichts mit digitalen Medien

Wie sieht der Unterricht mit digitalen Medien aus? In diesem Beitrag möchte ich wesentliche Kennzeichen des Unterrichts mit digitalen Medien von der Planung über die Durchführung bis zur Evaluation knapp erläutern und mit Praxisbeispielen veranschaulichen.

PARTIZIPATION -> EIGENVERANTWORTUNG

Partizipation ist ein fundamentaler Wesenszug der Kultur der Digitalität. Schüler:innen begegnen deren Möglichkeiten täglich in Social Media, durch die Nutzung von Kommentarfunktionen sowie vielfältigen Beteiligungsmöglichkeiten im Netz. Ihren Weg vom reinen Konsumenten zu Gestaltern des Netzes sollte Schule begleiten und fördern.

Um alle Schüler:innen zu aktivieren und ihre Mitverantwortung zu fördern, bietet sich an mehreren Stellen des Unterrichtsvorhabens ihre Partizipation an. So sollten sie von Beginn Teil von dessen Planung sein, indem z. B. aus mehreren Texten (Gedichte, Roman, usw.) gemeinsam ausgewählt wird, wobei Lernziele und didaktische Perspektiven auf dem Hintergrund der Stärken und Schwächen der Schüler:innen thematisiert werden können. Wird projektartig gearbeitet, wählen die Schüler:innen sich selbständig ihre Mitarbeiter:innen aus, ebenso die zur Verfügung stehende Arbeitszeit – auch über geeignete Tools kann gemeinsam entschieden werden. In den meisten Projekten gibt die Lehrkraft bestimmte zu bearbeitende Themen vor – auch hier kann eine persönliche Auswahl getroffen werden – zudem sollte immer Raum sein für kreative Ideen der Schüler:innen. Die gemeinsame Festlegung von Bewertungskriterien erfordert sowohl antizipative als auch selbstkritische Fähigkeiten.

Die zu Beginn der Unterrichtsreihe gemeinsam festgelegten Bewertungskriterien sind Grundlage der am Ende stattfindenden gemeinsamen Bewertung, z.B. über ein Umfragetool oder MS 365-Forms. Am Ende des Arbeitsprozesses sind die Schüler:innen auf dem Hintergrund ihrer Erkenntnisse in der Lage, die Leistungen der anderen (in Absprache mit dem/der Partner:in oder in der Gruppe) einzuschätzen und zu bewerten. Erfahrungsgemäß sind die Bewertungen der Schüler:innen mit meinen identisch, manchmal sind die der Schüler:innen etwas kritischer .

SELBSTSTÄNDIGKEIT

Partizipationserfahrung führt zur Selbstständigkeit. Die Integration in Entscheidungsprozesse begegnet Schüler:innen auf Augenhöhe, sodass sie sich ernstgenommen, nicht instrumentalisiert erleben.

Schule fördert allzu oft Unselbstständigkeit durch fremdbestimmte Erwartungen durch Lehrkräfte, Eltern, Standards. Das Gegenteil ist, u.a. aus ethischen und politischen Gründen, notwendig.

Digitale Medien fördern die Selbstständigkeit der Schüler:innen u.a. durch eigenverantwortliches, asynchrones Arbeiten an gemeinsamen Projekten zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Orten.

Hilfreich ist – auch abhängig vom Alter der Jugendlichen – eine mehr oder weniger kleinschrittige Begleitung der Lehrkraft, etwa durch Feedback zur auf einer gemeinsamen Lernplattform dokumentierten Organisation (wer macht wann was?) des Arbeitsprozesses.

Oftmals benötigen die Schüler:innen Zeit, sich an die (neue) Selbstständigkeit zu gewöhnen, da Gängelung, Standardisierungen und starre Regeln vielfach den Schulalltag prägen.

KOLLABORATION

Zentrales Element des Unterrichts mit digitalen Medien! Subjektive Gedächtnisleistungen, isolierte Lernszenarien passen nicht zu den Anforderungen der New Work im 21. Jahrhundert. Noch immer sind die Tische und Stühle der Schüler:innen oftmals frontal ausgerichtet auf die Lehrkraft, deren Platz sich vorne befindet.

Individualisierte Lernwege, die in Partner- oder Gruppenarbeit gegangen werden, ermöglichen, was die klassische Didaktik sich jahrelang auf die Fahnen schrieb, aber nur im Ansatz verwirklichen konnte: Binnendifferenzierung. Differenzierte Lernwege innerhalb der Lerngruppe werden u.a. durch Tischgruppen im Klassenraum visualisiert. Digitale Medien erleichtern die Zusammenarbeit unter anderem durch synchrone oder/und asynchrone Arbeit an Dokumenten (Texten, Bildern, Präsentationen), eine gemeinsame digitale Lernplattform kann u.a. eine gemeinsam erstellte Sammlung recherchierten Materials enthalten, auf die alle zugreifen können, die sich mit einem bestimmten Thema beschäftigen.

PEER-FEEDBACK

Eine großartige Möglichkeit, Reflexionsvermögen, Kritik- und Kooperationsbereitschaft zu fördern und einzuüben. Diese Form der Aktivierung von Schwarmintelligenz ist in vielerlei Hinsicht effizienter als die alleinige Rückmeldung durch die Lehrkraft.

Bei der Übernahme neuer Klassen mache ich immer wieder die Erfahrung, dass mich die Schüler*innen in den ersten Stunden mit Fragen überhäufen, die sie einfacher auch gemeinsam mit ihren Nachbarn hätten lösen können. Diese Lehrerfixierung ist auf Dauer nicht nur nicht durchzuhalten, sondern steht kontraproduktiv zur lernförderlichen Zusammenarbeit der Schüler:innen. 

In jeder Klasse kristallisieren sich nach wenigen Wochen des Unterrichts mit digitalen Medien die ersten Freaks heraus, die Tools gesucht und ausprobiert haben und mit ein wenig Ermunterung diejenigen (technisch) unterstützen können, die noch nicht so weit sind. Insgesamt wird so ein Lernklima und eine Arbeitsatmosphäre in der Klasse initiiert, die eine wirkliche Lerngemeinschaft begründen können.

Während der Arbeitsphase im Projekt kommt dem Peer-to-Peer-Feedback, dem Geben und Erfragen von Kritik innerhalb der Lerngruppe, besondere Bedeutung zu. Gerade zu Beginn dieser Arbeitsform ist es hilfreich, zunächst mit kleinschrittigen, dann mit immer weiter gefassten Vorgaben zu Rückmeldungen der Schüler*innen aufzurufen, sodass letztlich eine Arbeitsatmosphäre entstehen kann, in der sie selbständig in bestimmten Arbeitsphasen Feedback erfragen bzw. geben.

KREATIVITÄT

Originalität, Einfallsreichtum, Fantasie, Unberechenbares sollten in möglichst jeder Unterrichtsreihe Raum gelassen werden. Manchmal überraschen die Schüler:innen u.a. mit Tools, die die Lehrkraft selbst nicht kennt. Zur kreativen Darstellung einer Romanszene schlugen mir Schüler:innen beispielsweise das Programm canva vor, mit dem sie ein überzeugendes Comic produzierten. Um Jugendliche zu ermuntern, von reinen Konsumenten zu Produzenten und Gestaltern im Netz zu werden, ist die Ermöglichung und Entfaltung ihrer Kreativität ein wunderbarer Weg!

REFLEXION DES ARBEITSPROZESSES

Damit Schüler:innen lernen, ihren Lernweg zu optimieren, selbst Verantwortung dafür zu übernehmen, ist eine abschließende Reflexion des Arbeitsprozesses wichtig. Sie kann z. B. mithilfe einer Umfrage die von der Lehrkraft vorbereitet wurde, durchgeführt werden. Die anschließende gemeinsame Evaluation mit der Lerngruppe führt sowohl zu individuellen als auch zu gemeinsamen Einsichten, die hilfreich für die weiteren Arbeitsprozesse sein können.

KRITISCHES DENKEN

Ein zentrales Lernziel des Unterrichts mit digitalen Medien! Jugendliche sind im Netz starken und komplexen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Interessen ausgesetzt. Nur wer sie kennt und durchschaut, kann selbstbestimmt und souverän in der Kultur der Digitalität leben. Deswegen ist kritisches Denken mehr denn je von Nöten und seine Förderung Aufgabe von Schule. Entsprechendes Bewusstsein kann durchgängig mehr oder weniger in jeder Unterrichtsreihe geschärft werden: z. B. in Diskussionen um Datenschutz, Persönlichkeitsrechte, Netiquette, Werte im Netz.

Jürgen Drewes
Jürgen Drewes